vorige Arbeit
nächste Arbeit
X

Wie klingt die Freie Klasse? 1997

Info
/

Wie klingt die Freie Klasse?

 

Wie klingt die Freie Klasse? Ach – sie klingt auch noch?

Dem Gedanken der Soundrezeption ungeachtet ihrer Situationsgebundenheit liegt die Idee zugrunde, dass sich die FK als Band gegründet hat, dass es zur FK den Soundtrack eines Anfangs ohne Ende gibt. Ohne auf das Band-Setting näher einzugehen: Wer gibt den Rhythmus vor, wer ist verantwortlich für die treibenden Beats und den Grundschlag des grooves, wer schreibt die Songs und wer die Texte? Wer bestimmt die Venues für die FK-Gigs und warum gibt es kaum FK-Tonträger? Wie oft steht FK im Proberaum?

Diese Fragen bleiben unbeantwortet. Es geht um die Gruppe. Wir nehmen sie als Band und lassen ihre Melodien, ihre Soundscapes, ihren Klang einmal für sie sprechen.

Aber geht es darum eigentlich? Haben sich die Jungs – um im strapazierten Rock-Jargon zu bleiben – je einen Dreck darum geschert, wie das, was sie produzieren, in unserem Innersten tönt – ob es uns anturnt? Haben sie dem Ohr des Besuchers ihrer Auftritte – haben sie dem dunkelsten und zugleich intellektuellsten Sinnesorgan, da es sowohl die Musik, den Klang als auch die Sprache aufnimmt – den nötigen Respekt erwiesen?

Ist es also überhaupt legitim das Künstlerkollektiv an seinem Sound zu messen? Oder ging es bei der Gründung als FK nur um das zwangsläufige Kuscheln mit der Popkultur via Band–Koketterie und sie gefielen sich einfach nur in einer Pose? Der Pose beispielsweise von Alternative-Rock-Stars, was im besten Falle bedeuten würde, dass sie seit ihrer Gründung ein­fach sympathisch und ungestüm drauflosgerockt hätten – Ziel: Reaktionen aus Bauchregion und tiefer. Angeblich träumt jeder juvenile Rockstar ja davon, den Klang kreischender Fans zu vernehmen, wenn er sich auf der Bühne in den Schritt greift oder Bier in die Menge schüttet.

„1991 – The Year Punk broke“: Nirvana on tour mit Sonic Youth – auf ihrem „alternative-rock“-Siegeszug durch Europa. Teen Spirit für die Welt. Aber so schweißtreibend-energetisch verliebt in alles Weirde, Neue ging die FK mit ihrem Sound nie zur Sache. Auch nicht 1991.Schließlich ist Klang nicht ausschließlich etwas, das uns umgibt, zustößt oder mitreißt, sondern genauso etwas, das jeder von uns gleichzeitig produziert, etwas, das – nicht nur im sprachlichen Austausch – Aktion gegen oder Reaktion auf ein anderes ist. 1991 schlug die FK zur Weltausstellung eher zarte Saiten an, begab sich auf Butterfahrt nach Türkheim, begab sich tastend auf die Suche nach der sogenannten Weltmusik und die brasilianische Gast-Frauenstimme hatte so gar nichts vom Abgebrühten und zugleich Enthusiasmus des Super-Special-Chick Kim Gordon (Weltausstellung I, Türkheim; Weltausstellung II, Amberg, 1991).

Also doch nicht nur Musik als Musik – der Soundtrack zur Party? Vielleicht dann doch gleich der Sprung von der Bauchregion in die Oberstufe? Kokettierte die FK von Anfang an mit dem Image der schlauen Indie-Pop-Band? – Eine „Freie Klasse“ der sogenannten „Hamburger Schule“ – im Klassenzimmer nebenan die Bands, die sich in ihren Anfängen in Abwehrstellung gegenüber den herrschenden politischen, sozialen und die Geschlechterverhältnisse regelnden Systemen befanden. Die wollten klar und konkret verstanden werden – wie beispielsweise „Die Sterne“ mit ihrer 1992er Maxi „Fickt das System“ – und sangen deshalb in deutscher (Alltags-)Sprache. Der Slogan: „Der Text ist meine Party.“ Aber so kopflastig und ohne Spielraum, so fokussiert wie die Hamburger Schule war der FK-Sound nie.

Auch nicht 1992. „Sighs, breathing, gaspering, retching and screaming – many tones of pain and pleasure mixed with a jibberish of foreign sounding language that was no language of all.“ 1992 waren die explicit FK-lyrics zwar in Deutsch, aber Klaus Kinskis Texte dienten eher dazu angreifbar zu sein als anzugreifen; es war mehr ein vordergründiges In-der-Anarchie-Plätze-besetzen als ein eloquentes tiefgründiges Haltung-zeigen (Freie Klasse ist Kinski, Galerie Caduta Sassi, München, 1992).

Dann wohl eher doch FK als die Party-Laune-Rasselbande der „Alten Schule“: was zwangsläufig zu „Die Klasse von ´94“ und „Die Klasse von ´95“ führen würde und dem Streit um die Wahrhaftigkeit des Hip Hop – zwischen Majordeal – geilen und VIVA-kompatiblen Kindergarten versus moralisierender poplinker Old School-Puristen.

Aber weder war das kapitalistische Bewusstsein auf der einen noch auf der anderen Seite die politische Transparenz je ausschlaggebend für den FK-Sound. Auch nicht 1994 und 1995. In a word, sound can be visual art if it happens in an art context. This is the old idea that it’s art if it’s in an art gallery. But as soon as we step outside this idea we run into art problems. Because it breaks down the barriers, not only between the arts, but also between art and life, sound, and all intermedia activity, lead us away from art institutions.

1994 dokumentiert sich der politische Aspekt im nahezu überpointierten Loop des linken Partisanenlieds „bella ciao“, welches sich aus dem Sound italienischen Radio-Mainstreams mühsam freischält und bastard-pop-artig überlagert (Lernen von Italien. Feldherrnhalle, München, 1994).

1995 konterkariert die FK das Polit-Image mit der simplen „Übertragung“ des „Expeditions-Sounds“, der arktischen Sturmgeräusche, an die Besucher „draußen“ vor der Münchner Muffathalle: Erfahrung von Klang als Kommunikationswerkzeug zur Grenzüberschreitung zwischen Innen- und Außenraum, indem der Sound die Aktivitäten der Gruppe auf den urbanen Raum der Stadt ausdehnt und somit eine Wechselbeziehung zwischen Kunst, Klang, Raum und Gesellschaft generiert (Leben in der Kälte, Muffathalle, München, 1994).

Den interdisziplinären Ansatz in der Verbindung von Musik, Technologie, Wissenschaft, Architektur und Kunst vorantreibend landet die FK zwangsläufig immer wieder in einer musikalischen Subkultur, die aus extremen Randformen der Kunst entsteht und keinen klar identifizierbaren expressiv öffentlichen Stil darstellt: bei Industrial, mehr noch Industrial-Techno. Als Instrumente werden Werkzeuge und Maschinen wie Bohrer, Presslufthämmer, Rasenmäher und Materialien wie Stein, Metall, Kunststoffe oder synthetisch erzeugte Geräusche und Krach verwendet, gemixt, gecuttet, gescratcht. So wie beispielsweise Aphex Twin in seinem 1996er Richard D James Album: „Unsere Melodie ist das Schreien der Maschinen. Unsere Musik ist das Brüllen der Motoren. Unsere Klänge das letzte Aufbäumen. Wir tanzen den Untergang, um zu leben.“ (Einstürzende Neubauten)

(Unter Tage, 1992; Schraubenmassaker, 1996; Rasenmähertreffen, zum Abschluss der dX in Kassel, 1997; Feldversuch (Sortiermaschine), 1998)

Wie man mit Automaten spielt, hat John Cage mit seinem präparierten Klavier vorgemacht, und in der komplexen Monotonie einiger FK-Auftritte entfaltet sich eine musique d’ameublement im Sinne Saties, die dem Ohr nicht bloß gefällig ist und Genuss verheißt, sondern welche das Ohr auf die Suche gehen lässt, das der Spur folgt, die der Raum bereithält.

Damit wird der FK-Sound zur Verfahrensweise der Künstler, die den Klang als Material – als hörbare Plastik – begreifen und damit die Idee des Raumes und somit die physischen, psychologischen, politischen und sozialen Bedingungen untersuchen, die dem Raum innewohnen.

Dabei ging es anfänglich immer auch und oft in erster Linie um Fun und Glamour – eher Boygroup als Audio Scene. Und es ging um den Eindruck, dass die Freie Klasse mehr ist als die Summe ihrer einzelnen Teile: ein lebender, synthetisierender Zellhaufen, der für die Idee, die Randbedingungen im Kunstbetrieb nicht zu akzeptieren, sondern sich selbst organisiert in den öffentlichen Raum zu beamen, permanent die Rahmenbedingungen überprüft und erneuert.

Bis dahin, sich zu erlauben, die eigenen Konzepte mit ihrem Gegenteil aufzuladen, neu aufzubauen und wieder anzuknacksen, ganz wie es die im Prinzip als idealistisch verworfene, aber dann trotz allen Wissens von Bedingtheit und intensiver Beschäftigung mit Kulturindustrie …wiederaufgenommene Idee dieser Rock/Underground-Idee von Freiheit und Selbstbestimmung von ihnen verlangt.

2001 zitiert die FK ihre Ursprünge. Nach längerer Pause, in der die Bandmitglieder sich in erster Linie ihren Solokarrieren widmen und die Auftritte in der gesamten Besetzung sporadisch werden, erinnert sich die Band an ihre Geschichte und schreibt sie fort.

Wäre Klaus Kinski in einer Band gewesen, er wäre der Frontman und Leadsänger der Band gewesen. Von ihren Anfängen an wollten die Mitglieder der FK alle Leadsänger sein – der umherwildernde Verlauf ihrer popkulturellen Geschichte ist nur ein Ausdruck dessen. So wie in „Freie Klasse spricht Kinski“ (2001 München) sich die Stimmen überlagern, sich im Wettstreit befinden um Aufmerksamkeit, kommt der gruppendynamische Irrsinn, der dem Bandprojekt innewohnt, zum Ausdruck. Es wird nie ein professionelles Management geben für die FK, keinen Majorvertrag, keinen US-Release; die Interviewanfragen an die gesamte Band und das Anfordern von Rezensionsexemplaren ihres Materials werden ewig ins Leere laufen. Der Grundton der Band wird nie nach großem Budget in einem 48-Track-Studio klingen und sich zum Glück in einem Crossover zwischen Jammern, Grundrauschen und Autoerotik einpendeln.

No sample cleared: Conne Island, Frequenzen, kunstradio.at, nadir.org, Soundcultures, Spex, testcard, Village Voice

Credits: Jutta Koether, Jill Johson, Norbert Schläbitz, Rigobert Dittmann, Hank Bull

Es geht um Fun und Glamour

 

Ulrike Ebenbeck