was von der freien klasse uebrig bleibt

von Christian Goegger 

In der Bernauer Straße in Berlin werden demnächst die Reste der deutsch-deutschen Mauer mit aufgereihten Cortenstahlsäulen auf die Länge von einem Kilometer erweitert. Das Ganze bezeichnet sich als Mauergedenkstätte mit der Intention, dem Vergessen der deutschen Teilung vorzubeugen. Unabhängig von der Bewertung, ob die Errichtung einer gar nicht mal symbolischen Mauer (bei 1 km !) angemessen ist oder solche Maßnahmen eine nachhaltige Erinnerungsleistung erzielen, lässt sich immerhin feststellen, dass die Intention dieser Stahlmauer in Berlin besser gelingt als irgendwo auf dem Land, wo die Mauer auch bittere Realität war. Eine Metropole wie Berlin darf mit größter Aufmerksamkeit rechnen, wodurch nationales - oder wie im Fall des Holocaustmahnmals - gar internationales Interesse bedient wird. 

 

Aber wir befinden uns in einer Zeit, die das Erinnern nicht nur im nationalen Zentrum, sondern landauf, landab auf öffentlichen Plätzen verdinglicht. Die urbanen Leerstellen, sofern noch nicht mit Kunst belegt, werden mit gestalteten Memorabilien bestückt, die Qualität der freien Räume auch noch öffentlich rechtlich zugestellt. Ausstrahlung oder ästhetisch-pädagogischer Nutzen liegen nur noch in kleiner homöopathischer Dosierung vor, auch oder gerade wegen einem Zuviel an Information und Ansprache. Erstaunlich ist der Elan, mit dem schon seit geraumer Zeit diese Vorhaben einer postpostmodernen Denkmalskunst vorgetragen werden. Die Spur dahin wurde von einem breiten und aufgeklärten Diskurs zur Kunst im öffentlichen Raum gelegt.

 

In den letzten zwanzig Jahren sind Kunst und künstlerische Gestaltung im öffentlichen Raum profund wie ausschweifend aufgearbeitet und umgesetzt worden. Ein Angelpunkt aus deutscher Sicht waren 1987 die Skulpturenprojekte Münster, die in ihrer letztjährigen Auflage das Abgetakelte solcher Unternehmungen schon sichtbar werden ließen. Nur noch wenige Beiträge konnten überzeugen, und wenn, dann eher die mit ephemerem Charakter. Der Rest wurde versiert abgeradelt und ebenso schnell abgehakt. Auf die anfänglich noch gegen die bemalten Brandmauern und die drop-sculptures ins Feld geführten vereinzelten Werke und Konzepte der 1980-er wurden so unzählig viele Skulpturen, Projekte, Interventionen unterschiedlichster Qualitäten draufgelegt, bis für jedes Einzelne nur noch eine gnadenlos kurze Halbwertszeit an Aufmerksamkeit übrig blieb – von Wertschätzung ganz zu schweigen. Die systematische Zustellung und Bespielung mit Kunst schafft ein ästhetisch animierendes Überangebot, das uns nicht mehr zu erreichen vermag. Die Riesensache mit der Kunst im öffentlichen Raum ist zu einer Zeiterscheinung geschrumpft und die Objekt gewordenen Platzhalter ihre Zeitgeister.

 

Im Schatten dieser ganzen Kunst-im-öffentlichen-Raum-Bewegung, ihrem Erfolg, aber auch ihrer deutlichen Abschwächung 

erleben wir nun einen unbeherrschten Zugriff auf den öffentlichen Raum durch die Gremien, die diesen Raum verwalten sollen. In den Schubladen der Ämter und Räte tummeln sich künstlerisch verbrämte Gedenkprojekte für alle möglichen Anlässe. Die Fraktionen, im scheinbaren Wettbewerb untereinander, versuchen über die Besinnung auf Personen, Veranlagungen, Ereignisse, Getanes wie Unterlassenes im öffentlichen Raum Verbindliches zu schaffen, wieder Sinn zu stiften. Weit weg von den Zentren mit einem möglichen staatstragenden diplomatischen Potenzial wird im Straßenbild das Denkmal praktiziert. Im Kern inhaltsschwanger und sinnstiftend sind sie dabei nicht länger frei von propagandistischem und ideologischem Gehalt, was man der Kunst so nie unterstellen konnte. Allzu massiertes Auftreten ästhetischer Information im Freien, mit oder ohne Gedenken, konterkariert ihre Absichten. Dem Wissen um das Maßhalten öffentlicher Auftritte  - was dem Kunstbetrieb schon geraume Zeit dämmert – steht der verwaltete Kulturbetrieb ignorant gegenüber. 

 

Im Gegenteil, glaubt er doch aus dem Schwinden der freien gestalterischen Kräfte mit seinem Themenprogramm die künstlerischen Implikationen im öffentlichen Raum aufzuwerten. Über die Stein gewordenen Botschaften bemerkte Robert Musil 1919: „Sie (die Denkmäler, Anm.) verscheuchen geradezu das, was sie anziehen sollten. Man kann nicht sagen, wir bemerkten sie nicht; man müsste sagen, sie entmerkten sich uns, sie entziehen sich unseren Sinnen: Es ist eine durchaus positive, zur Tätlichkeit neigende Eigenschaft von ihnen!“ Eine zweifelhafte Qualität, zugegeben, aber jedem Statement im öffentlichen Raum droht das Übersehenwerden. Manches Unterlassene lebt daher länger als sein Realität gewordenes Pendant.

 

Viele Arbeiten der Freien Klasse zielen auf den öffentlichen Raum, kommentieren ihn. Sie sind künstlerische Umsetzungen auf der Grundlage kulturpolitischer, architektonischer, gesellschaftlicher Recherche, vorgetragen in sprach- und kulturkritischem Jargon. Ihr Grundton ist durchgängig heiter ironisch, dabei nicht leichten Sinnes lustig. Sie sind spielerisch, aber durchgängig intendiert, konkret, situativ, engagiert. In die Messestadt Riem verlegen sie einen rätselhaften Tatort ins ambitionierte Musterhaus modernen Wohnens. Gerade in Riem wurde Kunst für und im öffentlichen Raum propagiert und ausgebracht, die der sozialen Gemengelage ihrer Bewohner Rechnung trug und sozial partizipative Projekte generierte. Deren durchaus auch kritische Ansätze waren nicht wirklich ortsspezifisch markant, sondern auch andernorts durchführbar. In der Messestadt die Spuren eines vermeintlichen Verbrechens zu sichern legt sich thematisch unaustauschbar fest. In Riem ist trotz bester Vorsätze ein antiurbanes Konglomerat entstanden, davon handelt der „Tatort“ (2005) der Freien Klasse.

 

Nichts Schöneres als ein freier Platz. Und wenn man so will haben wir der Freien Klasse einige zu verdanken. Ihre Programme für den öffentlichen Raum waren als  Projekte angelegt und sind es auch geblieben. Dabei sollte das in den Vorschlägen eingeschmolzene erkenntniskritische Potenzial nicht unterschätzt werden. Über die Vorschläge in und um die Münchner Feldherrnhalle („Von Italien lernen“ 1994) haben sich hartnäckig die historischen Sachverhalte eingeprägt: Dass dieser Bau lediglich eine Kopie der Loggia dei Lanzi in Florenz ist, dass vor ihm und mit ihm ungehörig „braune Wäsche“ gewaschen wurde. Für das beigefügte Nutzungskonzept mit temporärem Dachcafé, italienischem Autosalon unter den Hallenbögen und Wäscheleinen mit übergroßer brauner Unterwäsche gab es selbstverständlich keine Genehmigung. Die Feldherrnhalle (als riesiges Tafelbild) wurde daraufhin nach Florenz zurück spediert und an ihrer Stelle der Bebauungsplan für ein Parkhaus  vorgelegt, dem als Vorbild der faschistische Palazzo della Civiltà diente. Die perfide Ironie des Projekts verwickelt auf subversive Weise die damals herrschende Theorie und Praxis der Kunst im öffentlichen Raum und liefert darüber hinaus beinahe visionäre Szenarien: die völlige Kommerzialisierung des öffentlichen Raums, der auch vor Baudenkmälern kein Einhalt geboten wird. Man erinnere sich der riesigen Werbetransparente, die über das eingerüstete Siegestor gestülpt wurden oder wie man die Stützen der Schrannenhalle nach einer Ewigkeit auf dem Bauhof dann irgendwo am Viktualienmarkt versteckt hat.

 

Das „Museum Freie Klasse“ 2003 - gedacht als schwebender, gelber Anbau an die Pinakothek der Moderne, „an der Wange der Etablierten“ - liefert hintergründig einen Kommentar zu Denk- und musealem Raum, mit der spitzen Pointe gegen den Architekten. Der mag sich auch künftig, gar mit juristischen Mitteln, gegen vermeintliche Plakate an „seiner“ Fassade zur Wehr setzen, gegen das Anbauprojekt der Freien Klasse ist er machtlos. 

 

Die Freie Klasse arbeitet mit Erinnerung. Fast alle ihre Arbeiten sind wesentlich Projekte, die dem allgemeinen Kunsthandel kaum Nahrung bieten. Einige wenige Relikte haben als Fotoarbeiten, Videos oder Multiples überlebt, die man auch sammeln kann. Die kritischen, ironischen, manchmal komischen Inhalte ihrer Arbeiten sind aufgehoben in Konzepten, Entwürfen, Layouts und Skizzen, einige wenige haben sich zu temporären Installationen ausgewachsen. Übrig bleibt Archivmaterial und natürlich die Erinnerung. Eine künstlerische Vorstellung, in die Öffentlichkeit gebracht, besetzt nicht, sondern bereitet den Raum für Reflexionen. 

 

Sieht man von den besten gestalterischen Leistungen einmal ab, ist das Imaginierte dem öffentlichen Raum am angemessensten, da der Raum frei bleiben muss. Die früh von der Freien Klasse konzipierte Imagination für den öffentlichen Raum, obwohl heiter und leicht im Vortrag, war immer auch brisant und engagiert. Das Zusammenwirken der verschiedenen Geschicke und Fertigkeiten der fünf Protagonisten schafft Kompetenz. „Total gescheitert“, so der Titel ihres Rückblicks von 1992 bis 2003, ist kein Lamento, sondern Programm. 

 

Das Gelingen von Kunst, zumal im öffentlichen Raum, ist abhängig vom Diskurs, den sie anstößt. Der Diskurs kann allgemein und universell sein, ästhetisch wertvoll, kultursoziologisch kontrovers und darin Erkenntnisse liefern. Der Diskurs, auf den die Projekte der Freien Klasse zielen, hat wesentlich München zum Thema. In ihrer ortsspezifischen Qualität sind sie plausibel und kompetent. In der kundigen Kritik und künstlerischen Zurichtung des öffentlichen Raums gelingen sie als Projekte, ohne sich für eine konkrete Umsetzung verbiegen zu müssen. Im Gegensatz dazu die Denkmalskunst, deren inhaltlich und räumlich verbindliche Vorgaben auf Realisierung aus sind. Im Transit der Idee zur Tat liegt auch der Sprengsatz des Scheiterns, denn die Intention des Auftrags hat mit dem Gehalt seiner Umsetzung ins Werk nichts gemein. 

 

Die verstiegenen Projekte der Freien Klasse München, deren Realisierung von vornherein unwahrscheinlich ist, verwegen, hybrid und ortskundig zugleich, erzeugen die dichte Diskursmasse, stellen die eigene Stadt nicht voll und werden deshalb als Erkenntnis übrig bleiben.