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FREIE KLASSE MACHT SCHULE - VERANSTALTUNGEN

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Freie klasse macht schule —— veranstaltungen

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zog viereinhalb Jahre nach dem Sturz des Taliban Regimes eine alarmierende Bilanz über die Bildungssituation in Afghanistan. In der im Juli 2006 veröffentlichten Studie „Lessons in Terror: Attacks on Education in Afghanistan“1 wird darauf hingewiesen, dass die Fortschritte im Bildungsbereich, die seit 2001 erzielt wurden, aufgrund einer starken Zunahme von Anschlägen auf Schulen bedroht sind. Gezielt wird gerade deswegen gegen die öffentliche Institution Schule vorgegangen, weil für die Taliban und ihre Alliierten Schulen in vielen Gebieten das einzige Symbol der Autorität der Regierung darstellen. In der Anfang 2004 feierlich verabschiedeten Verfassung Afghanistans ist die freie Bildung als das Recht aller Bürger verankert. Entsprechend appellierte Hamid Karsai an seine Landsleute, dieses Grundrecht des afghanischen Volkes zu verteidigen: „Wenn Schulen eine Million Mal angezündet werden, dann baut sie eine Million mal wieder auf, damit diese Nation frei von Angst und Terror sein kann.“ (ebd.)

 

Schulen werden, wie im Fall Afghanistan, nach Katastrophen als erstes provisorisch wieder aufgebaut und stehen für eine Normalisierung der Verhältnisse. In dieser Hinsicht sind Schulen eine der wirksamen Definitionsagenturen der Kultur der Herrschenden und als solche werden sie in Afghanistan zum umkämpften Ort. Während sie den einen Garant dafür sind, der heranwachsenden Generation das Potential für gesellschaftliche Veränderungen zu vermitteln, fungieren sie in den Augen der anderen lediglich als Reproduktionsinstrumente herrschender, verhasster  Ideologien. 

 

Auch in demokratischen Ländern ist die Funktion der Schule als öffentliche Institution und Projekt aus der Epoche der Aufklärung ambivalent. Sie ist Instrument zur gesellschaftlichen Veränderung genauso wie zur Erhaltung von Herrschaft auf der Basis ökonomischer Vernutzungsstrategien,  mit unterschiedlicher Gewichtung. Gerade in den letzten Jahren wurde dies besonders sichtbar an den Planungen und Beschlüssen des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus bezüglich der Einführung eines achtjährigen Gymnasiums und der damit verbundenen Reform und Verkürzung der gymnasialen Oberstufe von drei auf zwei Jahre. Von oberster Stelle wurde mit dem Interesse an der „Chancengleichheit“ für bayerische Gymnasiasten und damit mit dem vermeintlichen Wohl der Betroffenen argumentiert, von oppositioneller Seite dagegen die Veränderung als „technokratisches Sparkonzept“ geschmäht. 

 

Die hier angesprochene Umstrukturierung des Bildungssektors ist eine unmittelbare Folge des mäßigen Abschneidens deutscher Schüler in internationalen Schulleistungsuntersuchungen, etwa der prominent gewordenen PISA-Studie. Diese von der OECD konzipierte Studie wird seit dem Jahr 2000 im dreijährigen Turnus nicht nur in Mitgliedsstaaten durchgeführt. Entsprechend ihrer eigenen Konzeption von Bildung setzt die OECD auf so genannte „Schlüsselkompetenzen für persönliches, soziales und ökonomisches Wohlergehen“ (OECD 2003). Als staatliche Reaktion darauf wurde bereits 2003 in Berlin eine Konzeption vorgestellt, die als Klieme-Expertise, vom Bundesbildungsministerium und der Kultusministerkonferenz der im Schulwesen souveränen deutschen Länder in Auftrag gegeben, klare bildungspolitische Handlungsanweisungen formuliert. Festgelegt wurden zentrale Bildungsstandards, die ebenfalls über Kompetenzen erreicht werden müssen. Entsprechend heißt es dort: „Kompetenzmodelle konkretisieren Inhalte und Stufen der allgemeinen Bildung. Sie formulieren damit eine pragmatische Antwort auf die Konstruktions- und Legitimationsprobleme traditioneller Bildungs- und Lehrplandebatten.“ 2

 

Obwohl es keine einheitliche Begriffsdefinition gibt3, ist Kompetenz ein Schlüsselbegriff geworden, der schillernd bleibt und ähnlich solchen Begriffen wie Exzellenz, Profilbildung, Qualitätsmanagement, Controlling usw. lediglich einen verschleiernden Sprachnebel erzeugt.4 Er wurde maßgeblich von der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa) lanciert und über entsprechende Schuleffizienztests in die nationalen Bildungsstandards implementiert. Dahinter steckt das Ziel, Druck auf die Regierungen wie die Öffentlichkeit auszuüben und durch Normierungen und Standardisierungen die nationalen Bildungssysteme so umzubauen, dass den Veränderungen durch die Globalisierung begegnet werden kann: „Die Regierungen verpflichten sich, Fortschritte bei der Einhaltung der Normen und Standards zu erzielen, wobei sie durch das System der gegenseitigen Prüfungen (Peer Reviews) unterstützt werden. In einer Welt globaler Interdependenzen ist diese Vorgehensweise wohl der effizienteste Weg, Einfluss auf das Verhalten souveräner Staaten auszuüben.“ 5

 

Deutlich wird, wie in die ursprünglich demokratisch verantworteten nationalen Bildungswesen mit klar normativem Anspruch eingegriffen und auf die Durchsetzung einer Bildungsökonomie abgezielt wird. Ganz in diesem Sinne sind auch die hierzulande aktuellen Bildungsreformbemühungen geleitet von der Annahme einer Ökonomisierung von Bildungsprozessen. Erzielt werden soll eine kostengünstige und qualitativ hochwertige Produktion von Bildung (Effizienzsteigerung bei gleichzeitiger Kürzung der Produktionszeit). Grundlage bildet hierfür das Humankapitalkonzept.Die Humankapitaltheorie geht davon aus, dass Wirtschaftswachstum nur das Resultat technischen Fortschritts sein kann und dieser sich durch Investitionen in den Bildungsbereich und daraus resultierende verbesserte Qualifikationen generieren lässt. Die daraus ableitbaren Maßnahmen der Ökonomisierung von Bildung folgt einem Bild vom Menschen, der von Geburt an Kapital ist, in das ordentlich investiert wird, um hinreichend Profit abzuwerfen. Eine solche Ausbildung eines marktförmigen Menschen zielt einzig auf seine Verwertbarkeit gemäß den Anforderungen einer globalen Wirtschaft. Zur Durchsetzung bedarf es dazu nicht der Freiheit und Autonomie von Schulen, sondern verstärkter Kontrollen, etwa den auf ökonomischen Prämissen beruhenden Tests, die mit der Aura von Objektivität und Wertneutralität getarnt werden. „Der PISA-Test zielt auf den homo oeconomicus. Es geht darin um die materiellen Bedingungen des Lebens, um Nutzen und Profit. (...) Der Idealtyp des PISA-Tests ist derjenige, der sich später einmal am besten in Industrie, der Technik und der Wirtschaft auskennen wird. Von allen übrigen Bereichen der Kultur (...) sieht der Test rigoros ab.“6

 

Die OECD ist sicherlich aufgrund der PISA-Tests der prominenteste, aber nur einer von mehreren Akteuren, die eine Veränderung des Bildungswesens hin zu ökonomischer Verwertbarkeit durch die Vermittlung von funktionalem Wissen forcieren. Zu nennen wären hier weitere Akteure, angefangen von der WTO bis hin zu globalen oder nationalen Verflechtungen von Lobbyverbänden, Stiftungen und Unternehmen. Beispielhaft für letztere steht die ERT (European Round Table of Industrialists), eine Vereinigung führender global agierender Unternehmen. Der ERT erklärt offen sein Ziel, die nationalen Bildungssysteme entsprechend den wirtschaftlichen Bedingungen umzustrukturieren: „Europe`s companies cannot compete in globalised markets on cost alone. Competitive advantage also depends on the skills of people and companies to stay ahead of the competition in exploiting critical knowledge. Success depends on effective investment in human capital, through education systems and lifelong learning.”7 Hier zeigt sich ein ökonomischer Totalitarismus, der mit einer eigenen Logik der Verwertbarkeit Bildung begreift . Was herauskommt sind die Standardisierung schulischer Lernprozesse und damit deren Nivellierung und Trivialisierung zugunsten funktionalistischer Denk- und Handlungsstrukturen. Der Schüler erwirbt dabei die „Kompetenzcluster“, die ihn zur Anpassung an die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt befähigen sollen. Ein solchermaßen verkürzter Bildungsbegriff macht deutlich: „Das Korrelat des Kompetenzbegriffs  ist eben der Lernbegriff und nicht die Bildungsidee“  8. Lernen kann man alles - auch inhaltlich Fragwürdiges! Bildung aber ist kein fremdbestimmtes Training, sie ist ein selbstreflexiver Prozess, eine Selbstvergewisserung von Welt, durch die ein junger Mensch die Herausbildung seiner Persönlichkeit vollzieht. Bildung dient der Selbst- und Menschwerdung in Freiheit, ihr ist bis heute eine spezifische Auffassung von Humanität inhärent.

 

Die Freie Klasse hat die skizzierten Entwicklungen immer schon mit Skepsis beobachtet. Den zeitgeistkonformen Bildungsideen setzt sie ihre eigenen Vorstellungen entgegen: Die Freie Klasse macht Schule, in dem sie eine Schule errichtet. Sie stellt damit ihren eigenen Ansatz der radikalen künstlerischen Kritik an der akademischen Ausbildung, den sie erstmals 1986 gegenüber der Lehre an der Akademie der Bildenden Künste in München erprobte, auf einen breiteren Boden. Sie begreift Schule als informellen Zusammenschluss von Anhängern verschiedener Haltungen, Konzepte, Lehrmeinungen, wie es sie in der Kunst, Gestaltung, Philosophie usw. immer wieder gegeben hat. Sie reagiert damit gleichzeitig auf den Zustand der öffentlichen Schule, der immer weniger an Individuen und ihren Interessen liegt und die ihre Ziele nur noch an kurzsichtigen Profilen aus der Wirtschaft orientiert. Die Freie Klasse macht Schule, eine Schule, die nicht den Anspruch hat, alles zu können, aber vieles zu versuchen. Eine Schule, die verstanden wird als Ort, an dem man etwas macht, als Ort der Hervorbringung kreativer, auch radikal subjektiver und eigensinniger Ideen und Konzepte, als Ort der Selbstaussetzung. Die damit verbundene Förderung von Selbstwahrnehmung, Selbstreflexion und Selbstkompetenz steht der Vermittlung von Techniken mit operationalisiertem Verhalten entgegen. Der eigenverantwortliche Aufbau von Weltbildern gelingt nur so.

Für diese Parallelschule hat die Freie Klasse ein Gebäude im Baukastensystem entwickelt, das die offen-radikale Benutzbarkeit von einem Gebäude ausreizt. Die Arbeit stellt einen Prototyp dar, der physisch oder als Konzept und Bauanleitung weiter verwendet werden kann. Der Ort der Arbeit ist das Areal der aufgelösten McGraw-Kaserne in München, der ehemalige Standort der Streitkräfte der Vereinigten Staaten. Die Vereinigten Staaten als alliierte Besatzungsmacht haben die Stadtentwicklung Münchens nach dem Zweiten Weltkrieg erheblich beeinflusst. Nicht zuletzt tragen Re-Education und einzelne Verfahren zur Etablierung demokratischer Partizipation bis heute zum Kern des demokratischen Lebens in Bayern insgesamt bei.

 

Die Arbeit „Die Freie Klasse macht Schule” greift diese Bezüge auf und entwickelt sie weiter. Die Freie Klasse München erzählt immer etwas. 

 

von Pia Klapper (2006)