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Rettet Europa 1993

Info
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Rettet Europa

Interimsgalerie
München
1993

Muss Europa wirklich gerettet werden? Im Jahr 1993 war dieser Gedanke naheliegender als heute. Denn inzwischen besitzt die Europäische Union einen eigenen Verfassungsentwurf und die gemeinschaftliche Währung Euro ist mehr wert als der Dollar. Andererseits, wenn sich – wie vor dem Irakkrieg geschehen – ein amerikanischer Präsident heute leisten kann, Old Europe unverblümt zu attackieren, kann man tatsächlich auch wieder auf den Gedanken kommen, Europa in den Schutz nehmen und gegen ein Unheil verteidigen zu wollen.

„Rettet Europa!“ war Titel des Beitrags der Freien Klasse für „Kollektive Projekte II“ (22.7.-12.8.1993) in der Interimsgalerie der Künstler in München, die hier zusammen mit der Berliner Gruppe „Botschaft“ (Florian Zeyfang, Philip Scheffner, Merle Kröger etc.) ausstellte. An „Kollektive Projekte I“ hatten zuvor die Gruppen BüroBert (Jochen Becker, Renate Lorenz) und Sammlung Brinkmann (Alice Creischer, Andreas Siekmann, Christine Bernhard etc.) teilgenommen. Das zweiteilige Ausstellungsprojekt wollte dem Phänomen Rechnung tragen, dass kollektives Arbeiten im Kontext der Politisierung der Kunst der frühen 90er Jahre einen neuen Aufschwung erlebte.

Die Freie Klasse meinte ihren Aufruf „Rettet Europa!“ aber ironisch. Er richtete sich gegen den weit verbreiteten und teils kommerziellen (z.B. Aid-Konzerte der 80er Jahre) Impetus, allen und überall helfen zu wollen. Ein Helfen, das grundsätzlich nichts verändern will. Welche patriotischen Effekte das Retten erzeugen kann, haben uns im vergangenen Jahr die Hilfsaktionen gegen die Schäden der sogenannten Jahrtausendflut vor Augen geführt. Fast so als hätte die Freie Klasse hellseherische Fähigkeiten, sitzen die damaligen fünf Mitglieder auf dem Foto des Einladungsposters in einem kleinen Boot, um sich vor einer Katastrophe zu retten. Um welche Katastrophe es sich dabei handelt (die bevorstehende Vernichtung Europas?), ist schwer zu sagen, befindet sich das Boot doch auf einer Wiese am Rande eines Waldes. Diese gelbe Gummi-Arche konnte man in Realität dann an zentraler Stelle in der Ausstellung wiederfinden. Statt der Künstler befand sich in ihr jetzt jedoch ein Monitor, der die seltsame Rettungsaktion der Künstler dokumentierte.

Auch Ratgeberbücher leisten Hilfe. Mit ihren klugen Anleitungen kann man z.B. Autos selbst reparieren, positiver denken oder schlanker werden. Einen Ratgeber für die Verschönerung von Innenräumen nahm die Freie Klasse als Ausgangspunkt für ihre Installation im Erdgeschoss eines ehemaligen Supermarkts in der Hans-Sachs-Straße, den der BBK zwischenzeitlich für Ausstellungen benutzte. Was eigentlich für Bastelarbeiten in Wohnungen gedacht ist, wurde nun auf einen großen Ausstellungssaal übertragen. Streng hielt sich die Künstlergruppe an die vorgeschlagenen Materialien und Farben. So entstand u.a. ein wunderbares, buntes Deckenfries an einer Längswand. Aber auch noch andere Arbeiten gehörten zu dieser Ausstellung. So wurde anhand des Ölgemäldes einer Sternenkarte die Entdeckung des „Planeten der Freien Klasse“ verkündet. In einem mit einem rosa Plastikvorhang abgetrennten Krankenzimmer wurde mit zahlreichen Farbaufnahmen die Existenz einer „Deutschen Hautkrankheit“ nachgewiesen.

Personell gesehen markiert die Ausstellung „Rettet Europa!“ für die Freie Klasse eine Übergangsphase. Noch war Thomas Demand Mitglied der Gruppe, aber auch Ralf Homann hatte bereits an der Installation mitgearbeitet. Er war für den Sound, der durch Gitter aus dem Boden kam, verantwortlich.

 

Justin Hoffmann