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TATORT 2005

Info
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Tatort

Haus der Gegenwart, Muenchen
07. / 08.2004 

In dem Zeitraum vom 29. Juli bis zum 4. August 2005 richtet die Freie Klasse einen „Tatort“ im Haus der Gegenwart ein. Das Haus wird Kulisse, Bühne und Location. Was hätte passieren können? Ein „Tatort“ (Krimiserie, Sonntag 20.15), der vielleicht nie gedreht wird, entsteht.

 

Mit der ersten Aktion zum Thema ‚Haus der Gegenwart’ auf Einladung von Lisa Hartung in der Luitpold Lounge hat die Freie Klasse 2004 die Unbewohnbarkeit des Hauses beleuchtet. International zusammengewürfelte Gäste waren in dieser Fiktion Bewohner. Aber offensichtlich hat es keiner der Gäste geschafft, sich in dem Haus aufzuhalten. Gleich den DarstellerInnen einer Soap waren die Bewohner von der FK entworfen und zusammengestellt worden. Die in ihren Viten übertrieben gezeichneten Charaktere waren in ihrer sozialen Haltlosigkeit virtuell und nicht erreichbar. Lediglich ein Anrufbeantworter: -„Hallo, hier ist das Haus der Gegenwart. Leider sind wir nicht zu Hause. Aber wir freuen uns über eine Nachricht nach dem piiip.“ - stellte die Verbindung zu ihnen her.

 

Bei der neuen Bespielung des Hauses der Gegenwart – durch den „Tatort“ – Regie: Freie Klasse München – sind die Bewohner nicht mehr da. Offensichtlich sind sie nicht freiwillig gegangen. Etwas ist passiert. Es sind nur noch Spuren der Gewesenen und ihres Lebens übriggeblieben. Spuren, die auf so etwas wie ein Verbrechen hinweisen, sind zu sehen. Glücklich war der Abschied offensichtlich nicht. Dinge sind umgefallen, zerstört, durcheinander geraten. Wir stellen uns wirklich die Frage: „Ist es unmöglich im HdG zu leben, zu überleben. Keine Kritik an dem Haus, nur eine Frage an die Utopie, von der nichts übrigbleibt, au­ßer die Hülle. Jeder Raum bekommt einen Charakter in der jeweiligen Einrichtung, der die Person erahnen lässt, die hier offensichtlich einige Zeit verbracht hat.

 

Ein imaginierter Lebensentwurf für die Räume des Hauses wird sichtbar. Die Objekte und Möbel im Raum deuten auf etwas hin, was hätte geschehen können. Eine Anwesenheit des möglich Gewesenen wird vorgestellt. Nur Einrichtungsgegenstände und die durcheinandergebrachte Ordnung verweisen auf die Bewohner und ihre Charaktere. Jeder der Wohnkuben ist in einem bestimmten Stil eingerichtet, der die Menschen beschreibt, die ihn offensichtlich bewohnt hatten.

 

Ein Kubus ist voll mit Indientüchern, alternativen Bambusregalen und einem leicht verblas­senden Räucherstäbchengeruch. Wie sich später herausstellen wird, ist diese Einrichtung nicht eine imaginierte. Ein indisches Paar, das sich nur in einem Duldungsverhältnis in Deutschland aufgehalten hat, hat hier gewohnt. Der zweite Wohnraum ist mit designorientierten Möbeln eingerichtet. Hier hat jemand Wert auf wertvolle Einrichtung gelegt. Wie sich später herausstellen wird, hat der Typ die Inder in der I-company, die einem Freund von ihm gehört und für die er auch arbeitet,  ab und zu beschäftigt. Er kann gut mit jedem umgehen – amerikanisch – und er hat viele Freunde und Neider. Leider für ihn. Mag er Konflikte doch gar nicht oder besser gesagt – sie gibt es für ihn nicht. Bei ihm finden sich typische Understatementklamotten, so HIPHOP – weites Flugtextil. Weitweeeitweeeit. Auch er ist weg. Wo ist Frank?

 

Der dritte Kubus ist unterteilt und offensichtlich von zwei Personen bewohnt worden, die kein besonderes Augenmerk auf ihre Einrichtung gelegt haben. Ikearegale, Kunstdrucke von Franz Marc (Blauer Reiter) an der Wand, Flusen am Boden. Zwölf  beige Anzüge und einige Kostüme, eine Lampe vom Flohmarkt und sieben Rattanmöbel. Die hier haben weniger Wert auf das Innere – ihrer Wohnung – gelegt, als vielmehr auf die Zeit, wenn sie draußen sein sollten. Vielleicht waren sie während des Geschehnisses gar nicht zu Hause und kommen noch zurück? In dem Gemeinschaftsraum sind zwei Stühle umgefallen. Auf dem Herd liegen Essens­reste. Schubladen sind aufgezogen. Ein roter Spritzer.

 

Vor der Tür stehen drei unterschiedliche Plastiktüten mit leeren Flaschen (Bier und Wein, etwas Wasser, ca. 35 Stck. 78% Pfandflaschen). Im Garten hat jemand angefangen, ein Loch zu graben. Der Spaten liegt noch daneben. In der Hecke hängt der Teil eines karierten abgerissen Ärmels. Eintritte auf dem Rasen wirken so, wie wenn sie von Pferden getreten wären. Der Rasenmähermotor ist noch leicht angewärmt. Eine Heckenschere liegt in einer anderen Ecke. Vor dem Haus steht ein Polizeieinsatzfahrzeug mit permanentem Blaulicht. Unter dem Haus auf einem der Stellplätze steht ein oranger BMW mit eingeschlagenem linkem Scheinwerfer.

 

Der Tatort ist großräumig mit Flatterband umzäunt. In weißen Overalls gekleidete Fahn­der untersuchen die Gegend und die Räume auf Spuren und dokumentieren kleinlich bis in jedes Detail. Fingerabdrücke werden genommen, Blätter gesammelt und Fußabdrücke in Gips abgegossen. Alte Methoden. Leider hat das HdG jeden technischen Komfort, aber keine Überwachungskameras! Die Fahnder werden ständig belästigt von den Besuchern der BUGA, die seit Jahren die Führung durch das HdG gebucht hatten und diese trotz des offensichtlichen Verbrechens in Anspruch nehmen wollen, und von den Soziologen von Roland Berger, die den Auftrag haben, die Bewohner des HdG nach ihrem Konsumverhalten zu befragen, und nicht glauben wollen und dürfen - ihr Job -, dass die Männer in den weißen Overalls nicht die Bewohner sind.

 

Das Haus der Gegenwart stellt mehr Fragen als die nach dem Wohnen heute. Es stellt die Frage: Wie beschützt will man wohnen? Ist es schon fast unerträglich, von Utopisten unsere Zukunft entwerfen zu lassen? Wollen wir lieber nach Indien gehen?

 

Phrasen – Haus der Gegenwart – Eine.